BurkaBondage
BurkaBondage is the passion and pain of two female dancers struggling for freedom from under the burka, total Islamic coverage, and the restraints of Japanese bondage. By the apparent antithesis of the two extremes of exposure and masking, Helena Waldmann follows the binary logic of power and powerlessness, pain and pleasure through to its culmination in a West-Eastern yearning for freedom and self-release.
Afghanistan, March 2001: after pointlessly firing guns and missiles for 26 days, the Taliban militia destroyed the world’s two largest standing Buddha statues in the valley of Bamiyan, using 3 tons of explosives. They left behind only rubble and the enormous gaps in the rock.
After having travelled to Kabul for the first time in 2007 to show her production „return to sender“, choreographer Helena Waldmann made a discovery in the following year: the young Afghan actors she works with call themselves “Generation Rain”. A generation that even without the reign of the Taliban is disoriented and stuck in the rut of fundamentalist history.
In Japan, a highly industrialized, rich country that couldn’t be further from Afghanistan in many ways, Helena Waldmann experiences something similar: young people who have no faith in a self-chosen future, bound by the oppressive traditions of a rigidly structured and hierarchical society, call themselves “Lost Generation”, and take the destruction of the Buddhas in distant Afghanistan personally.
Both the Japanese and the Afghan side recognize themselves in the forced disappearance of the bodies. And both arrive at corresponding questions. Are the empty niches that remained after the explosion the framework of something that has no right to exist? And what must we detonate in order to become free – the frame or what is contained within?
Helena Waldmann has found a virtually iconic image for the parallels between both generations, for the fight for visibility and unleashing: Burka and bondage. The burka is an Afghan gown that covers people up. Bondage is a Japanese technique that shackles them.
A challenge for two female dancers who love extremes, a video animation artist and a genius on the drums.
With ``BurkaBondage`` Helena Waldmann captures the pain and pleasure of our time in a visual West-Eastern Divan.
Production of Helena Waldmann and ecotopia dance poductions
In coproduction with Berliner Festspiele (D), Burghof Lörrach (D), Fabrik Potsdam (D), Forum Freies Theater Düsseldorf (D), Festival Theater in Bewegung Jena (D), Pumpenhaus Münster (D),Tafelhalle im KunstKulturQuartier Nürnberg (D), V.FESTSPIELE im Theater im Pfalzbau Ludwigshafen (D)
Supported by ITI Germany und Goethe Institut
Funded by Hauptstadtkulturfonds
Official Trailer – BurkaBondage | 3 min.
Official full length video – BurkaBondage | 57 min. | only with password, ask me
2009
concept
direction
choreography
Helena Waldmann
dance
Vania Rovisco
Yui Kawaguchi
(2nd Cast > Dasniya Sommer)
black person
Acci Baba
composition and livemusic
Mohammad Reza Mortazavi
dramaturgy
Dunja Funke
set design
Jochen Sauer
light design
Andreas Fuchs
videoanimation
Acci Baba
costumes
Marie Krautschick
assistant
Taiya Mikisch
Afghanistan consulting
Monireh Hashemi
project management
Claudia Bauer
technical stuff
Carsten Wank
Stephan Wöhrmann
fotos
Sebastian Bolesch
duration
65 minutes
Touring
Premiere:
2009 OCT 9
Berliner Festspiele (D)
2009
OCT 10+11
Berliner Festspiele (D)
OCT 31 + NOV 1
Theater im Pfalzbau Ludwigshafen (D)
NOV 17
Burghof Lörrach (D)
NOV 20+21
Festival ‚Theater in Bewegung‘, Jena (D)
2010
MARCH 30
Osterfestival Innsbruck (A)
APRIL 24
Tafelhalle im KunstKulturQuartier Nürnberg (D)
MAY 20
20. Potsdamer Tanztage, Fabrik Potsdam (D)
MAY 26
Pumpenhaus Münster (D)
MAY 28 + 29
FFT Düsseldorf in cooperation with Tanzhaus NRW (D)
DEC 6
Sir Mutha Venkata Subba Rao Concert Hall, Chennai (Indien)
DEC 10
Navarangahala Hall, Colombo (Sri Lanka)
DEC 12
Ranga Shankara Theatre, Bangalore (Indien)
DEC 16
Jamshed Bhabha Theatre, Mumbai (Indien)
DEC 19
National School of Drama, Delhi (Indien)
Conversations
german
Tagesspiegel | 7.10.2009
Sandra Luzian im Gespräch mit Helena Waldmann und Monireh Hashemi
Ich lasse mir meine Sprache nicht verbieten! >
Die Situation mutet surreal an: Eine deutsche und eine afghanische Regisseurin sitzen in Berlin zusammen und reden über Burka und Bondage. Wie ist das möglich? Begonnen hat alles vor zwei Jahren in Kabul. Helena Waldmann und ihre iranischen Darstellerinnen waren mit der Produktion „return to sender – letters from tentland“ 2007 zum Nationalen Theaterfestival nach Afghanistan eingeladen. In einer Karawanserei sah Waldmann eine Aufführung aus Herat: „Mädchen, alle weiß gekleidet, gingen im Kreis, ihre Hände waren mit Ketten verbunden. In der Mitte stand ein neunjähriges Mädchen, das eine solche Wehklage ausgestoßen hat, wie ich es noch nie gehört habe“, erzählt Waldmann. „Sie hat mich mitten ins Herz getroffen.“
Monireh Hashemi, die Regisseurin dieser aufrüttelnden Inszenierung, arbeitet nun neben Helena Waldmann in einer Kreuzberger Fabriketage an einem außergewöhnlichen Theaterprojekt. Hashemi ist bei „Burka Bondage“ für alle Fragen zuständig, die Afghanistan betreffen. Waldmann, die unerschrockene Theater-Pionierin, und die so zarte wie couragierte Hashemi bilden ein reizvolles Gespann. „Burka Bondage“ spannt zwei Begriffe zusammen, die schon für sich als Reizwort taugen und beide sexuell konnotiert sind.
Der Wunsch nach Autonomie verbindet sich mit einer wilden Theaterleidenschaft
Hashemi widerspricht jedenfalls westlichen Feministinnen, wenn sie erklärt: „Die Burka ist oft die einzige Chance, eine gewisse Freiheit zu erfahren.“ Denn nur so seien die Frauen vor den zudringlichen und kontrollierenden Blicken der Männer geschützt. „Body check“ nennt es Hashemi, die fließend englisch spricht. Sie selber weigert sich allerdings standhaft, eine Burka zu tragen, stattdessen bedeckt sie ihr Haar mit einem Kopftuch. Der Wunsch nach weiblicher Autonomie verbindet sich bei ihr mit einer wilden Theaterleidenschaft. Monireh Hashemi, die nie Theater studiert hat, erregte schon mit ihrem ersten Stück Aufsehen. Die Inszenierung fand an einer Mädchenschule in Herat statt, den Text schrieb sie in einer einzigen Nacht, er ruft Maria und Fatima an. „Wir haben doch große Frauen in unserer Religion“, erklärt sie, „und die Frauen hatten einmal ihren Platz in der Gesellschaft.“
Dieser Platz wird ihnen heute, Jahre nach dem Ende der Taliban-Herrschaft, immer noch streitig gemacht. „Die afghanischen Männer sperren die Frauen zu Hause ein, wo sie lebendig begraben sind,“ sagt Hashemi und berichtet von den geringen Bildungschancen der Mädchen und von der immer noch verbreiteten Praxis der Zwangsheirat.
Als Schauspielerin und Regisseurin im heutigen Afghanistan braucht man sehr viel Mut, das macht das Gespräch deutlich. Monireh Hashemi mit ihrem sanften Lächeln ist eine Kämpferin, doch wenn sie von den Gefahren erzählt, denen sie permanent ausgesetzt ist, kommen ihr einmal fast die Tränen. Wiederholt hat sie anonyme Anrufe oder Drohbriefe erhalten, in denen sie beschuldigt wurde, unmoralisch zu leben. Doch sie sagt mit trotziger Entschlossenheit: „Theater ist meine Sprache, und die lasse ich mir nicht verbieten.“
Die 24-Jährige ist eine Ausnahmeerscheinung. Ihre Familie halte fest zu ihr, erzählt sie. Und ihr Mann teilt ihre Passion: Der Filme– und Theatermacher hat die Produktionsgesellschaft gegründet, die ihre ersten Arbeiten ermöglichte und für die sie weiterhin tätig ist. Dass sie so furchtlos auftritt, hat sicher auch damit zu tun, dass sie während der Taliban-Jahre im Iran gelebt hat. Helena Waldmann berichtet von einem Workshop mit afghanischen Frauen, den sie auf Initiative des Goethe-Instituts abgehalten hat: „Monireh war nicht durch den Krieg traumatisiert wie alle anderen. Sie war die einzige, die sich konzentrieren konnte.“
Das Stück ist ganz gewiss eine Gratwanderung
Hashemi war Waldmann auch deswegen aufgefallen, weil sie eine Regisseurin ist, die stark mit dem Körper arbeitet, was ungewöhnlich ist für Afghanistan. Sie bringt nun ihre künstlerische Sensibilität ein, ist aber auch brennend interessiert an westlichen Ausdrucksformen. Mit großer Neugier hat sie verfolgt, wie Waldmann mit ihren beiden Tänzerinnen, der Japanerin Yui Kawaguchi und der Portugiesin Vania Rovisco, das Bewegungsmaterial erarbeitet. Für sie war das alles Neuland. „Ich verstehe euer Theateralphabet nicht“, gestand sie anfangs. Nach drei Wochen verstand sie einzelne Worte, dann ganze Sätze.
Helena Waldmann findet immer wieder Wege, mit Künstlerinnen aus islamischen Ländern zu arbeiten. Hashemi hat sie beim neuen Projekt freie Hand gelassen: Mit Yui Kawaguchi hat sie einen orientalischen Tanz einstudiert, mit Vania Rosco einen afghanischen Song geprobt. Allerdings geht es in „Burka Bondage“ beileibe nicht um Folklore. Das Theater von Helena Waldmann will unseren Blick auf die andere Kultur – auch die japanische – und auf den Körper verändern.
Das Stück bewegt sich im Spannungsfeld von Fesseln und Entfesselung und ist ganz gewiss eine Gratwanderung. In Monireh Hasehmi hat Waldmann eine Verbündete gefunden. Die junge Afghanin geht mit offenen Augen durch Berlin, hat sich viele Tanzaufführungen angeschaut und ist keineswegs geschockt von den hiesigen Sitten und Theatermoden. Was ihr besonders aufgefallen ist? „Frauen und Männer gehen hier so zwanglos miteinander um, das hat mich positiv überrascht“, sagt Monireh Hashemi und lächelt ihr sanftes Lächeln.
Frankfurter Rundschau | 2.9.2009
von Sylvia Staude
Theaterspielen ist Gefährlich >
Ein weiter Raum im Obergeschoss eines typischen Berliner Klinkerbaus, darin, an diversen Seilen, ein Fallschirm, daneben ein Gestell, über das Gazebinden gespannt sind. Die Choreografin und Regisseurin Helena Waldmann und ihre Tänzerinnen Vania Rovisco und Yui Kawaguchi proben an diesem heißen Augustnachmittag eine Szene des Stückes „BurkaBondage“. Der dünne und doch üppig sich bauschende Fallschirmstoff ist den beiden Darstellerinnen Burka, unter der sie sich berühren, und Landschaft, in der sie verschwinden können, während am Rand Mohammad Reza Mortazavi, Spieler der persischen Tombak, und die afghanische Schauspielerin und Regisseurin Monireh Hashemi sitzen und behutsam trommelnd beziehungsweise singend die manchmal noch tastenden Bewegungen begleiten.
Helena Waldmann hat sich wie vielleicht kein anderer in den vergangenen Jahren mit der Theatersituation in muslimischen Ländern auseinandergesetzt, auch indem sie für das Goethe-Institut Kurse gab im Iran und in Afghanistan. Nun arbeitet sie an einem Stück, das sich mit den Gesellschaftsentwicklungen in Japan und Afghanistan beschäftigt, Titel: „BurkaBondage – no ordinary experience“.
Monireh Hashemi ist ihre Beraterin in allen Dingen, die Afghanistan betreffen. Von der Gefahr, der sie sich in Kabul durch ihre Theaterarbeit aussetzt, erzählt die junge Frau mit einer Munterkeit, hinter der viel Mut stehen muss. Sie erzählt, wie 2006 alles begann, als sie mit einem in einer Mädchenschule erarbeiteten Stück beim nationalen Theaterfestival den ersten Preis erhielt. (Es ist die Inszenierung, von der Helena Waldmann im Interview spricht.) Sie erzählt aber auch von Droh-Anrufen und -Briefen.
Die Drohungen sind anonym. Nie, sagt Monireh Hashemi, komme jemand zu ihr und sage ihr ins Gesicht: Das darfst du nicht. Aber als sie als Filmschauspielerin begann, seien frühmorgens um drei, vier Uhr Briefe eingeworfen worden an ihren Vater, die seine Tochter beschuldigten, unmoralisch zu leben, viele Männer zu haben, irgendwann sicher schwanger zu werden … kurz, eine Schande zu sein. Doch ihre Familie habe sie stets unterstützt.
Die Dinge werden besser, versichert Monireh Hashemi: „Vor fünf Jahren konnte ich nirgendwo allein hingehen, jetzt kann ich mich auch allein auf der Straße bewegen.“ In Kabul mit Kopftuch, an anderen Orten, Herat etwa, mit Burka. Die ältere Generation, meint die afghanische Regisseurin, verliere langsam an Einfluss. Helena Waldmann, die neben ihr sitzt, blickt skeptisch.
Frau Waldmann, nachdem Sie bereits im Iran gearbeitet hatten, hat Sie das Theater in Kabul überrascht? Was sind die Unterschiede?
Der große Unterschied zu Iran ist, dass es in Kabul ja erst seit sechs Jahren wieder Theater gibt. Das ist in Iran anders, man hat dort eine lange Theatertradition, viel besser ausgebildete Schauspieler. In Kabul spürt man den unglaublichen Wunsch, Theater zu spielen. Denn es ist fast die einzige Möglichkeit, sich frei auszudrücken. Es gibt in Kabul seit jetzt sechs Jahren das nationale Theatertreffen. Die Theatergruppen sprießen, seit die Taliban weg sind, wie die Pilze. Aber es ist wahnsinnig gefährlich. Besonders für Frauen. Ein Mädchen in meinem Workshop erzählte, dass es immer die Onkel väterlicherseits sind, die so weit gehen, die Mädchen umzubringen, weil sie Theater spielen. Auch Monireh, die ich in Kabul als Regisseurin kennenlernte, hat mir gesagt: Sie weiß, dass sie es das Leben kosten kann. Trotzdem sind sie wild entschlossen, Theater zu machen. In Afghanistan hat man das Gefühl: Die Menschen wissen, was es bedeutet, Theater zu spielen. Sie wissen auch, was es bedeutet, es anzuschauen. Das ist in Europa verloren gegangen.
Sie sprachen gerade von Zensur, ist das Theater denn nicht zensiert?
Wie in Iran darf auch in Afghanistan in der Öffentlichkeit nicht getanzt werden. Singen ist möglich, aber Tanz ist verboten. Monireh ist eine Regisseurin, die wenig mit Sprache arbeitet und viel mit dem Körper. Und die Leute kommen nach der Aufführung zu ihr und sagen, dass sie das nicht verstanden haben, weil viele Menschen dort diese Art von Theater nicht lesen können, denn Film und Theater basieren, ähnlich wie in Iran, stark auf Sprache. So aber kann natürlich nicht jede Kritik ausgesprochen werden. So finden die Künstler, wie in Iran, immer wieder Wege, mit dem Körper das auszudrücken, was ihnen wichtig ist, wenn es mit Sprache allein nicht geht.
Was ich gerade in Ihrer Probe gesehen habe: zwei Verschleierte, die sich berühren, in den Arm nehmen, könnte man das in Afghanistan zeigen?
Ja, wenn die Körper versteckt sind. Je mehr ein Regisseur erfüllt, was gefordert ist, nämlich die völlige Bedeckung der Körper durch die Burka, desto mehr Freiheiten hat er. Die Frauen in Monirehs Stück sahen ganz ähnlich aus wie die beiden in meiner „BurkaBondage“, nur, dass sie ganz in Weiß waren und Fesseln trugen. Und in der Mitte stand ein neunjähriges Mädchen und hat eine solche Wehklage ausgestoßen, wie ich es noch in keiner Medea-Inszenierung gehört habe. Das Kind hat wohl seine Erfahrungen – auch damit, wie Frauen behandelt werden – mit in diese Klage hinein genommen. Die Aufführung war nachts und ich habe mich gewundert, dass die Zuschauer Sonnenbrillen aufsetzen – bis ich merkte, dass sie weinten, auch die Männer.
Zur Person
Helena Waldmann, geboren 1962, studierte in Gießen Angewandte Theaterwissenschaft und assistierte bei Jürgen Gosch, Frank-Patrick Steckel und dem Choreografen Gerhard Bohner. Einige Stücke brachte sie zunächst am Frankfurter Künstlerhaus Mousonturm heraus, inzwischen lebt sie in Berlin. Mit iranischen Schauspielerinnen inszenierte sie 2005 „letters from tentland“.
„BurkaBondage“ wird am 9. Oktober im Haus der Berliner Festspiele Uraufführung haben.
taz | 9.10.2009
von Katrin Bettina Müller
Körperlich gebunden >
Die Fallschirmseide ist zerschlissen, der Stoff hat Löcher. Dennoch reicht er, um den Boden der Bühne zu bedecken, auf der die Regisseurin Helena Waldmann „BurkaBondage“ probt. Wenn Vania Rovisco den Fallschirm, der bis dahin halb hochgezogen von der Decke hing, über der ganzen Fläche ausbreitet, verändern sich die Konnotationen der Bilder. Was eben noch nach kriegerischer Handlung und Eroberung eines Landes aussah, beginnt jetzt dem Profil einer Landschaft zu ähneln, von feinen Wellenlinien durchzogen.
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Irgendwann fängt die Tänzerin Yui Kawaguchi an, sich von einer anderen Ecke aus in den Stoff einzudrehen, wie in einen Kokon. Wirbellinien durchziehen die Seide in alle Richtungen. Sie korrespondieren mit den Klangwellen, die Mohammad Reza Mortazavi aus einem mit Stoffbändern umwickelten Kubus mitten auf der Bühne aussendet. Und was eben noch eine Bewegung des Ausdehnens war, kehrt sich um in eine des Zusammenraffens und Verengens.
An dieser kurzen Sequenz, reich an äußeren und inneren Bildern, fehlt noch der Feinschliff, die Synchronisierung der Abläufe. Auf Deutsch und Englisch redet Helena Waldmann mit ihren Performern, die aus Portugal, Japan und dem Iran kommen, teils aber schon länger in Berlin leben. Sie haben an „BurkaBondage“ bisher in einem Kreuzberger Probenraum gearbeitet, jetzt geht es um die Einpassung an der Bühne der Uraufführung am 9. Oktober im Haus der Berliner Festspiele.
Helena Waldmann ist nicht nur eine Regisseurin mit Wohnsitz in Berlin, sondern auch Weltreisende. Mit ihrem Stück „letters from tentland“ für und mit iranischen Performerinnen erhielt sie seit 2005 viele Einladungen, auch vom Goethe-Institut aus Kabul. Ein Workshop schloss sich an, elf Tage lang arbeitete sie mit jungen Frauen in Kabul, schwer beeindruckt von deren Liebe zu einer Kunstform in einem Land, in dem theaterspielende Frauen sehr leicht Diskriminierung und Bedrohung ausgesetzt sind.
Ausgangspunkt Kabul
Auch wenn Waldmanns Aufenthalte in Afghanistan nicht lang waren und sie außer Theater, Workshop und Hotel nicht viel sehen konnte – das Goethe-Institut wacht über die Sicherheit seiner Gäste – beginnt mit dieser Erfahrung die Vorgeschichte ihres Stücks „BurkaBondage“. Aber anders als „letters from tentland“, das über die Möglichkeiten des Theatermachens und das Leben junger Frauen in Teheran erzählte, sei „BurkaBondage“ kein Stück über Afghanistan und Japan, betont Helena Waldmann im Gespräch.
In Kabul und in Japan seien ihr vielmehr kulturelle Phänomene aufgefallen, für die es dort starke Bilder gibt, die aber, und das ist ihr wichtig, woanders auch gelebt, nur weniger gesehen werden. Das ist das Bedürfnis nach Rückzug, Privatheit, Ausklinken aus allen Forderungen. Das Gewand der Burka und die Kunst der Fesselung sind für sie unterschiedliche Formen, durch Beschränkung Freiheit zu gewinnen, im Rückzug aus der Öffentlichkeit einen anderen Raum zu suchen. „In der Bondage“, glaubt Waldmann zum Beispiel, „gibt man Kontrolle ab, wenn man körperlich gebunden ist. Damit befreit man sich auch von der eigenen Verantwortung.“ Dann schwärmt sie von der alten japanischen Knotenkunst, die auch das Einknüpfen einer Melone, um sie vom Markt nach Hause zu tragen, oder das Binden eines Kimono umfasst.
Es ist sehr verführerisch, Waldmanns Umgang mit den politisch und sexuell besetzten Images von Burka und Bondage als politischen Kommentar zu lesen. Damit kokettiert der Stücktitel. Aber beide Bilder sind nur Ausgangspunkt einer Reise, die in der konkreten Zusammenarbeit der Performer ihre eigene Dynamik entfaltet hat. Da geht es in erster Linie „um zwei Menschen, zwei Körper, die nicht die gleiche Sprache sprechen, aber doch voneinander abhängig sind“, sagt Helena Waldmann. „Die Notwendigkeit, das Gegenüber zu spüren“, das sei dabei die Herausforderung gewesen, sagt Waldmann, und diese Erfahrung bildet den Gegenpol zu den Tendenzen des Rückzugs. Sei es in einem Bild, in dem Vania und Yui mit Schnüren konkret verbunden sind, die eine als Drache in der Luft, die andere als ihre Lenkerin, sei es, wenn die beiden in Aufteilung des Raumes miteinander klarkommen müssen.
Was im Reden über Rückzug und Freiheit, das Verschwinden oder die Sichtbarkeit der Körper oft sehr theoretisch klingt, gewinnt in den Bildern, die zwischen den Performern entstehen, dann eine ganz andere Plastizität und Plausibilität. Und auf die kommt es schließlich an.
Deutschlandradio | 8.10.2009
von Dirk Fuhrig
Fesseln und Befreien >
Die Burka als Begrenzung und Fessel, aber auch als Rückzugsort, als Form der Freiheit: Diese Dialektik thematisiert Helena Waldmann in ihrer aktuellen Choreografie BurkaBondage.
Zwei Frauen tanzen mit, auf und unter einem weißen Fallschirm. Sie wickeln sich in Tücher. Die eine bindet der anderen die Hände zusammen, die Füße. Schließlich wickelt sie den ganzen Körper ein. Hinter halb durchsichtigen Stoffbahnen sitzt ein Mann und trommelt.
BurkaBondage nennt Helena Waldmann ihr neues Stück, das in den Endproben steckt. BurkaBondage?
„Man denkt erstmal, dass es diametral entgegensteht. Wenn man es sich genauer anguckt. In Kabul zum Beispiel. Für unseren Blick: Wenn wir Frauen unter einer Burka sehen, erschrecken wir. Gleichzeitig ist es aber auch so, wenn wir das Wort ‚inkognito‘ hören, dass das unglaublich befreiend klingt. Man kann Dinge tun, die man sonst vielleicht nicht tun würde.“
Eine auf den ersten Blick ungewöhnliche These: die Burka der afghanischen Frauen als Rückzugsort; Verhüllung als Form der Freiheit.
„Die Burka, als ich sie zum ersten Mal an hatte, natürlich hatte ich geschwitzt und wollte darin tanzen und es ging nicht. Aber eigentlich ist das Ding auch ganz großartig. Man fühlt sich darin unbeobachtet.“
Die 47 Jahre alte Regisseurin streicht sich ihre langen dunklen Haare, die von grauen Strähnen durchzogen sind, zurück. Gerade hat sie mit Monireh Hashemi noch einige Details besprochen. Monireh Nashemi ist Regisseurin in Afghanistan und für die Proben zu BurkaBondage nach Berlin gekommen. Helena Waldmann hat sich oft mit ihr über das Wesen der Verhüllung unterhalten.
„Sie will das Ding nicht anhaben. Aber sie beschreibt auch, dass, wenn man mit der Burka rausgeht, dass man in Afghanistan, in Herat oder Kabul, Dinge tun kann, die man nicht glaubt, dass das afghanische Frauen tun. Das wollen sie aber tun, weil: Sie sind auch Mädchen, die leben wollen. Und die wollen auch nicht dauernd den Koran runterbeten, sondern Jungs kennenlernen.“
Eine Frau, die sich ohne Verhüllung in der Öffentlichkeit zeigt, wird auf Schritt und Tritt beobachtet und von Männern bedrängt. Nur unter der Burka können die Frauen sich frei bewegen: eine paradoxe Situation, mit der die afghanischen Frauen spielen, wie Helena Waldmann bei ihren Besuchen festgestellt hat.
Helena Waldmanns Aufenthalte im Nahen Osten haben sie mit Erfahrungen konfrontiert, die ihr die etablierte Theaterwelt in Deutschland nicht mehr bieten kann. Für die Menschen in Afghanistan zum Beispiel hat Kunst eine existenzielle Dimension, erzählt Helena Waldmann:
„Die Taliban sitzen ihnen im Rücken. Mein Übersetzer ist eigentlich Sänger. Der sagte: Wenn die Taliban kommen, das ist sein Tod. Das sind junge, ganz nette Leute. Die wollen singen, die wollen Theater machen. Und wenn man dauernd hört, dass sie ihr Leben riskieren müssen. Die Regisseurin, die jetzt hier in Berlin ist, sie bekommt so krasse Anrufe, Briefe. Die sagen: Wenn sie nicht aufhört, dann würden sie weit gehen. Weit gehen heißt: Tod.“
Helena Waldmann wurde 1962 in Burghausen in Oberbayern geboren. Sie studierte in Gießen Angewandte Theaterwissenschaft – an jenem Institut, das seit den 80er-Jahren so viele Avantgarderegisseure und -dramaturgen hervorgebracht hat. In den 90er-Jahren inszenierte Helena Waldmann regelmäßig am Künstlerhaus Mousonturm in Frankfurt am Main. Damals ging es ihr um das virtuose Spiel mit physikalischen Phänomenen, mit Spiegelungen und Sinnestäuschungen. Heute interessiert sie sich stärker für Menschen.
„Früher, da kamen die Neuen Medien auf. Das war alles super interessant. Das wollte man ausprobieren, ich auch. Ich habe aber das Gefühl, das haben wir jetzt alles gemacht. Was mich jetzt interessiert, das ist der Mensch, mit allem, was er kann. Aber ein Element, das schon bei meiner ersten Arbeit ‚Die Krankheit Tod‘ da war, die schon sehr stark damit gespielt hat, dass man etwas verdeckt, um etwas zu zeigen. Dieses Entdecken durch das Verhüllen war schon 1992 ein großes Thema von mir.“
Die Regisseurin und Choreografin lebt mittlerweile überwiegend in Berlin. Sie ist in den vergangenen Jahren aber durch die ganze Welt gereist; nach Südamerika und zuletzt nach Japan. Dort hat sie die Fesselungskunst studiert, die jetzt als Bondage in ihrem neuen Stück auftaucht. Immer ist sie auf der Suche, wie sich mit den Mitteln des Theaters kulturelle Fremdheit überwinden lässt.
Helena Waldmann war Regisseurin an den Theatern in Bochum, in Luzern, in Darmstadt und Saarbrücken. Sie lehnt das Stadttheater nicht ab, hat aber immer weniger Lust, für die etablierten Bühnen zu arbeiten.
„Ich hab gemerkt, dass ich einfach freier bin, wenn ich frei arbeite. Alle meine Stücke sind Suche nach Freiheit; auch dieses jetzt wieder. Und wenn die Stücke schon um Freiheit gehen, warum soll ich mir die Freiheit nehmen?“
Press
english
Süddeutsche Zeitung | 12.10.2009
by Dorion Weickmann
Seam of Violence >
With “Burka-Bondage” Helena Waldmann captures the pain and pleasure of our time in a visual West-Eastern Divan.
Silence suddenly falls on Potsdamer Platz: an ordinary man walks along the Berlin pavement, but the woman at his side is cloaked, out of sight in a black sheath. Passers-by halt, as if spellbound – a burka, an Islamic, fabric prison for women, in the middle of Western civilization? No doubts about the verdict: these cloth cages are instruments of oppression. Those who have seen Helena Waldmann’s latest production, “Burka Bondage”, premiered during the Berliner Festspiele, will not be revising this opinion. But they might nevertheless experience a couple of uncomfortable insights, and start to ask themselves some questions.
For the Islamic and Japanese rituals of physical barriers that are linked in “Burka Bondage” reflect an image of our time, which is closer to fundamentalism that is thought. The fact is, we deny the burka and accept bondage, binding the body, as little more than a risky sexual practice.
Longing for silence
Yet, as Waldmann demonstrates, freedom, reason and agitprop only produce other constraints. Instead of falling into the God-trap, the enlightened individual steers straight into intractable self-entanglement, making schizoid efforts at accommodation, which the woman wearing a burka possibly escapes in the darkness of her cave, albeit at the price of invisibility.
Waldmann’s West-Eastern labyrinth opens with a cobweb-like rope construction on stage, with a white bandaged cube, as tall as a man, at its centre, as if the nodal point of every social vibration were disabled. Drum rhythms emerge from within this box, and swell from a gentle, whispering pianissimo to a crashing din. In the meantime, the performers stroll along the thin line halfway between ecstasy and pain, repeatedly plunging into the deep void, into extinction. What Vania Rovisco and Yui Kawaguchi demonstrate may generate equally high levels of violence, but there will be one single point of arrival: the longed-for silence.
Two women meet, one in a red, Afghan burka, the other strapped into a kimono, which she then changes out of to do a karaoke number, before her lovely new video-world falls apart. Acci Baba’s animations, reminiscent of Goya’s ghostly “Caprichos”, invoke destruction as a warning to the world: the debris and dust that the Taliban created when they blew up the Bamiyan Buddha statues, is the same dust that the collapsing Twin Towers swept through Manhattan or that was let loose by the bombing in Iraq. In this global warzone, there is no refuge, only pauses for breath.
Who is in control? Who dominates, and who lets themselves be dominated? These are the questions raised by Waldmann’s mythic dance-images. One person floats blissfully under their parachute, which another person manoeuvres like a kite, but a moment later she brutally clips her playmate’s wings and lets her drop, just as Acci Baba’s projection of a phoenix noisily crashes into an obstacle and turns into bloody entrails. No hope in body warfare. The pain is at its height when the women push through the bandage cube and leave their hair, arms and fingers behind in the public space like fetish objects, prisoners of the elastic bands. Nevertheless, those who have been martyred repeat and transform this pain in the ceremony of captivity that denotes power, and powerlessness, until it forces the desired release: fusion with nothingness.
The warring parties promptly tumble down from ecstasy to the depths of the battlefield, where a magnificent and humiliating ghost attack immediately brings the return body-blow. The battle rages on to the last breath. The isolation of the burka can thus change into a self-chosen pièce de résistance – precisely when western cultural and consumer conformity strikes, something that Kawaguchi interprets referring to a Janet Jackson blend on velvet paws. Those who choose to stand against a secular imposition like this, banish into the captivity of the burka. Or the habit: the nun’s habit that Vania Rovisco slips on, ultimately wards off sensuality in the same as being cloaked in the name of Allah does.
At the end of this marathon of painful pleasure, Rovisco – half mystic, half patent-leather pop Madonna – spreads out the weapons, while Kawaguchi chokes on carefully spooled-out lengths of fabric. Whether a kimono, burka, religious garb or jeans: with Helena Waldmann we’re close to each other, whatever we may think to the contrary.
german
Süddeutsche Zeitung | 12.10.2009
von Dorion Weickmann
Die Naht der Gewalt >
Helena Waldmann bannt mit „Burka Bondage“ den Lustschmerz unserer Tage in einen westöstlichen Bilder-Diwan
Plötzlich ist es still am Potsdamer Platz: Ein gewöhnlicher Mann geht übers Berliner Trottoir, doch die Frau an seiner Seite ist verhüllt, verschwindet in einem schwarzen Futteral. Wie verhext bleiben die Passanten stehen – eine Burka, ein islamisches Frauengefängnis aus Stoff, mitten in der westlichen Zivilisation? Das Urteil steht fest: Diese Tuch-Käfige sind Unterdrückungsinstrumente. Wer Helena Waldmanns jüngste, im Haus der Berliner Festspiele uraufgeführte Produktion „Burka Bondage“ sieht, wird diese Einschätzung wohl nicht revidieren. Womöglich werden ihm aber ein paar unbequeme Einsichten dämmern und Fragen kommen.
Denn in den islamischen und japanischen Körpergrenz-Ritualen, die „Burka Bondage“ verklammert, spiegelt sich das Gesicht unserer Gegenwart, die Fundamentalismen näher steht, als sie glaubt. Zwar verneinen wir die Burka und akzeptieren Bondage, also das Einschnüren des Leibes, allenfalls als riskante sexuelle Praxis.
Stille als Sehnsuchtsort
Doch Freiheit, Vernunft und Agitprop gebären, wie Waldmann zeigt, nur andere Zwänge. Statt sich in die Gottes-Falle sperren zu lassen, steuert das aufgeklärte Individuum in die unlösbare Verstrickung mit sich selbst: in schizoide Anpassungsleistungen, denen die Burka-Trägerin im Dunkel ihrer Höhle womöglich entkommt – allerdings um den Preis der Unsichtbarkeit.
Waldmanns westöstliches Labyrinth beginnt mit dem Bühnenbild, einer spinnennetzartigen Seil-Konstruktion, deren Herz ein mannshoher Kubus bildet, weiß bandagiert, als wäre der Knotenpunkt jeder gesellschaftlichen Schwingung versehrt. Trommel-Rhythmen dringen aus dieser Kabine und schwellen vom sachte flüsternden pianissimo zur kreischenden Klangfolter an. Währenddessen lustwandeln die Akteurinnen auf dem schmalen Grat zwischen Ekstase und Schmerz und stürzen immer wieder in die Tiefe des Nichts, der Auslöschung. Was Vania Rovisco und Yui Kawaguchi vorexerzieren, mag noch so hohe Gewalt-Amplituden erzeugen, am Ende will es doch auf dieses eine hinaus: die Stille als Sehnsuchtsort.
Zwei Frauen begegnen sich, die eine in der roten Burka der Afghaninnen, die andere im festgezurrten Kimono, aus dem sie sich herausschält, um eine Karaoke-Nummer abzuziehen,
bevor ihre schöne neue Video-Welt in Stücke fällt. Acci Babas Animationen, die an Goyas spukhafte „Caprichos“ erinnern, beschwören die Zerstörung als globales Menetekel: Der Trümmerstaub, den die Taliban bei der Sprengung der Buddha-Statuen von Bamiyan aufwirbelten, ist eben auch der Staub, den die kollabierenden Twin Towers durch Manhattan fegten oder die Bombardements im Irak freisetzten. In dieser weltweiten Kampfzone gibt es kein Refugium, nur Atempausen.
Wer hat die Kontrolle? Wer dominiert und wer lässt sich dominieren? fragen Waldmanns mythische Tanz-Bilder. Da schwebt eine glückselig am Fallschirm, den die andere wie einen Lenkdrachen manövriert, doch in der nächsten Sekunde stutzt sie der Gespielin brutal die Flügel, lässt sie fallen – ebenso, wie Acci Babas Phönix-Projektion krachend gegen ein Hindernis donnert und sich in blutiges Gekröse auflöst. Keine Hoffnung im Körperkrieg.
Am größten ist der Schmerz, wenn die Frauen sich durch die Kubus-Bandagen zwängen und ihre Haare, Arme, Finger dabei wie Fetische im öffentlichen Raum zurückbleiben, Gefangene der elastischen Bänder. Trotzdem wiederholen und verwandeln die Gemarterten gerade dieses Leid im Zeremoniell der Fesselung, das Macht markiert und Ohnmacht, bis es die gewünschte Erlösung herbei zwingt: die Verschmelzung mit dem Nichts.
Aus der Entrückung freilich steigen die Kriegsparteien umgehend wieder herab in die Niederungen des Schlachtfelds, wo eine gloriose Spuck-Attacke, ein gegnerischer Gesichtsverlust, sofort den Antwort-Hieb in die Eingeweide provoziert. Der Kampf tobt weiter, bis zum letzten Atemzug. Die Burka-Isolation kann dabei zum selbst gewählten pièce de résistance mutieren – dann nämlich, wenn der westliche Kultur- und Konsumkonformismus zuschlägt, was Kawaguchi in einen samtpfötigen Janet-Jackson-Verschnitt übersetzt. Wer sich solchen säkularen Zumutungen widersetzen will, exiliert in den Burka-Zwinger. Oder die Ordenstracht: Das Nonnenhabit, das Vania Rovisco überstreift, bannt die Sinnlichkeit schließlich ebenso, wie es die Verhüllung im Namen Allahs tut.
Am Ziel des Lustschmerz-Marathons streckt Rovisco – halb Mystikerin, halb lacklederne PopMadonna – die Waffen, während Kawaguchi inmitten sorgsam aufgespulter Stoffmassen schier erstickt. Ob Kimono, Burka, religiöse Tracht oder Jeans: Bei Helena Waldmann sind wir einander näher, als wir wahrhaben wollen.
Westfälische Nachrichten | 27.5.2010
von Isabell Steinböck
Freiheit zwischen Fesseln >
Der Traum vom Fliegen: Eine Tänzerin hängt mit ausgebreiteten Armen hoch oben unter Fallschirmseide und genießt für wenige Augenblicke ihre Freiheit. Wie ein Lenkdrache wird sie von ihrer Gespielin gesteuert und an der langen Leine gehalten. Nur noch wenige Momente, dann stürzt sie ab.
Es ist dies eine der zentralen Szenen in Helena Waldmanns Tanzstück „BurkaBondage“, das im Rahmen der Internationalen Tanztage Münster im Pumpenhaus zu sehen war. Die sexuell konnotierte Fessel – in der japanischen Tradition das Bondage, im Muslimischen die Burka – beschwört in erzwungener Abhängigkeit eine Sehnsucht nach Entgrenzung, wenn es sein muss, mit Gewalt.
Die Berliner Choreografin, die Theatererfahrungen unter anderem bei Heiner Müller, George Tabori und Gerhard Bohner sammelte, hat sich in der Vergangenheit bereits mehrfach mit der Situation von Frauen in muslimischen Gesellschaften auseinandergesetzt. Auch hier macht sie es sich nicht einfach.
Vielmehr beschwört sie bei aller Unterdrückung, die mal lustvoll, mal brutal zum Ausdruck kommt, leise emotionale Nähe herauf. Bondage und Burka können bei Helena Waldmann, die das Stück gemeinsam mit der afghanischen Künstlerin Monireh Hashemi entwickelt hat, nicht nur qualvolle Tradition, sondern auch erotische Hingabe oder gar Schutz bedeuten.
Dominierend allerdings sind Gewalterfahrungen in einer gesellschaftlichen Realität, die hin- und hergerissen ist zwischen Tradition und Moderne. Die Tänzerinnen Yui Kawaguchi und Vania Rovisco zwingen einander Fesseln auf, vergewaltigen, schlagen umarmen sich in starken Szenen. Verwirrend, wie ästhetisch und brutal es gleichzeitig sein kann, wenn Yui Kawaguchi zu Mohammad Reza Mortazavis peitschender Trommel-Percussion, weit zurückgelehnt, zum Schlag ausholt.
Und faszinierend ist das wandelbare, aus Fesseln bestehende Bühnenbild von Jochen Sauer, wenn es gleichzeitig als Plattform für den Musiker wie auch den Tänzerinnen als Boxring dient, und noch als Leinwand bereit steht für Acci Babas ausdrucksstarke Video-Animation. Dazu die bühnenbreite Fallschirmseide, in die versteckt und eingewickelt wird, von einer, die am Schluss gefesselt und verwundet, mit pfeifendem Atem über die Bühne wankt. Ein beklemmend zeitgemäßes Stück.
Eßlinger Zeitung | 30.10./1.11.2009
von Elisabeth Maier
Sprache der Entwurzelten >
Berlin – Der Krieg hat die Identität junger Menschen in Afghanistan zerstört, die sich aus dem Morast einer traditionalistischen Gesellschaft befreien wollen, aber nicht können. Doch auch im friedlichen und vermeintlich aufgeklärten Japan glauben ihre Altersgenossen nicht mehr an eine Zukunft. Beiderlei Ängste untersucht die Regisseurin und Choreografin Helena Waldmann in ihrem inhaltlich und formal überzeugenden politischen Tanztheater „Burka Bondage“, das jetzt bei den Berliner Festwochen uraufgeführt wurde.
Eine gemeinsame Sprache haben die Entwurzelten nicht. Waldmann, die ihre Tanzprojekte meist zwischen den Kulturen entwickelt, sucht mit den Tänzerinnen Yui Kawaguchi und Vania Ravisco jedoch Parallelen. Die findet sie in einem kriegerischen Akt, der sowohl für die jungen Afghanen als auch für die Japaner traumatische Symbolkraft besitzt. Im März 2001 zerstörten Taliban-Milizen in Tal von Bamiyan die beiden größten Buddha-Statuen der Welt mit drei Tonnen Sprengstoff. Es blieben nur Trümmer in der leeren Felslandschaft zurück.
Der japanische Videokünstler Acci Baba fasst dieses Kriegstrauma in packende Bilder, die den Zerfall spiegeln. In dieser Welt kämpfen junge Menschen um Freiheit und um ihr eigenes, unverschleiertes Gesicht. Das hatten ihre Mütter in der strengen islamischen Kultur nicht: Burkas verhüllten sie. Viele Japaner wiederum bändigten ihre Körper mit einer brutalen Foltertechnik, Bondage genannt. Im 17. Jahrhundert banden sich junge Menschen durch diese martialische, auf die Samurai zurückgehende Fesselkunst aneinander und gingen dann gemeinsam in den Tod, um frei von gesellschaftlichen Zwängen zu sein.
Burka und Bondage sind für die Tänzerinnen Ausgangspunkt einer Reise in die Psyche. Erst tanzen sie leicht und unbeschwert auf und unter einem weißen Fallschirm. Dann fesseln sie einander die Hände, hüllen sich in die Burka ein. Mit explosiver Kraft peitschen sie ihre Körper gleichsam an die Schmerzgrenze. Dann bewegen sie sich wieder entspannt durch den Raum. Fesseln und befreien wechseln einander in der Choreografie ab, deren Dynamik besticht. Mit einer persischen Handtrommel, Tombak genannt, begleitet der Iraner Mohammad Reza Mortazavi diesen Tanz ins eigene Ich.
In dem Prozess wenden die Künstler aber auch Klischees gegen sich selbst. Die Burka, die nicht nur im Westen als Symbol für die Unterdrückung afghanischer Frauen gilt, wird in „Burka Bondage“ auch zum Ort, an dem sich die Tänzerinnen sicher fühlen und an den sie sich zurückziehen können. Überzeugend spiegelt Waldmann so die Dialektik von Repression und Subversion.
Neues Deutschland | 13.10.2009
von Volkmar Draeger
Im Käfig der Traditionen >
Sie zählt zu den wenigen Choreografinnen, die den Kopf nicht in der eigenen Seele vergraben. Helena Waldmann, international erfolgreiche Regisseurin, stellt sich Problemen dieser Welt. Besonders ihre teils in Teheran kreierten Stücke um das Leben iranischer Frauen fanden Beachtung. Waldmanns »BurkaBondage« am Haus der Berliner Festspiele arbeitet Aufenthalte in Japan und Afghanistan auf und findet Gemeinsamkeiten zwischen den geografisch fernen Ländern.
Dass die Burka, der ganzkörperlich verhüllende Mantel für Frauen im Islam, Fessel bedeutet, gilt Europäern als Faktum; dass sie in ihrer Abschottung auch Freiheit bedeuten kann, ist die andere Ein-Sicht. »Generation Rain« (»Regen-Generation«) nennt sich in Afghanistan jene Jugend, die darauf wartet, dass der Staub der Taliban-Zerstörung fruchtbar benetzt wird. Auf eine Jugend, die sich als Lost (»verlorene«) Generation empfindet, stieß die Regisseurin in Japan, wo der Spagat zwischen eherner Tradition und westlicher Libertinage die Seelen aufreißt.
Ähnliche Gefühlslagen in verschiedenen Kulturen also beschreibt Waldmann mit der Metapher des Gefesseltseins: in Afghanistan durch die Burka, in Japan durch Kimono und uralte Bondage-Techniken, mit denen Samurai ihre Gefangenen handlich verschnürten, Liebende sich vorm Selbstmord verketteten. Im Stück sitzen die Zuschauer mit auf der Szene.
Schon Jochen Sauers Bühne ist ein beeindruckendes Seilkabinett aus einem mittig an Gazebinden schwebenden Käfig, den weitere Gazestreifen transparent machen. Rechts hängt an einem Zug ein Weißtuch, das erst vielfach gefaltet, sich später über die gesamte Szene ausbreiten lässt. Außerdem überspannen Seile die Spielfläche.
Die Japanerin Yui Kawaguchi und die Portugiesin Vania Rovisco betreten sie einzeln. Kawaguchi ist die kniend singende Geisha in Weiß, Rovisco die unter blutroter Burka betende Muslima. Ein Diener in Schwarz assistiert der Geisha beim Auswickeln aus dem Kimono, und schon wird sie in Stiefeln mit Plateausohle kreischende Karaokesängerin.
Als Rovisco den Schleier lüpft, beginnt ein Spiel der Begegnung zwischen Zärtlichkeit und Aggression, Solidarität und Befangensein, das Mohammad Reza Mortazavis grandios treibende Lautkulisse auf dem iranischen Perkussionsinstrument Tombak befeuert. So schwebt Kawaguchi, angeseilt und gesteuert von ihrer Partnerin, hoch oben: als Engel mit dem Tuch als Flügeln oder Drache im Wind.
Während die Fliegerin abstürzt, wickelt sich die andere das Steuerseil als Burka vors Gesicht. In gegensätzliche Richtungen zerren beide dann am Seil und wollen doch das gleiche, dringen in den Käfig des Musikers ein, Gefangene ihrer Tradition. Wie ein Hund bellt und kriecht Rovisco – ein zu konkretes Bild – umher, ehe sie in langem Ritual gefesselt wird, bis ihr eine Longe den Boden unter den Füßen entzieht.
Dass Waldmann sofort vom Diener entfesseln lässt, ohne diese Szene zu entwickeln, gehört zu den Schwachpunkten einer mit vielen starken Momenten aufwartenden Inszenierung. In dieser schlüpft auch Kawaguchi in die Bedrängnisse der anderen Kultur, zieht sich das Tuch zur Burka über den Kopf. Kawaguchi wird bespuckt, Rovisco im Korsett schminkt sich verzweifelt die Lippen, quält sich in die Plateaustiefel. Immer dicker umkleidet am Schluss das Tuch, das auch Rovisco nicht aufhalten kann, die sitzend erstarrte Japanerin. Wenig Hoffnung bleibt.
Links
KULTURAUSTAUSCH | Zeitschrift für internationale Perspektiven: körper
Hrsg. Institut für Auslandsbeziehungen, ifa, II/2010
Fesselkünste in Afghanistan und Japan – eine Reise am Seil von Helena Waldmann >
gefangen oder frei? BurkaBondage. ifa
Berlin – Der Krieg hat die Identität junger Menschen in Afghanistan zerstört, die sich aus dem Morast einer traditionalistischen Gesellschaft befreien wollen, aber nicht können. Doch auch im friedlichen und vermeintlich aufgeklärten Japan glauben ihre Altersgenossen nicht mehr an eine Zukunft. Beiderlei Ängste untersucht die Regisseurin und Choreografin Helena Waldmann in ihrem inhaltlich und formal überzeugenden politischen Tanztheater „Burka Bondage“, das jetzt bei den Berliner Festwochen uraufgeführt wurde.
Eine gemeinsame Sprache haben die Entwurzelten nicht. Waldmann, die ihre Tanzprojekte meist zwischen den Kulturen entwickelt, sucht mit den Tänzerinnen Yui Kawaguchi und Vania Ravisco jedoch Parallelen. Die findet sie in einem kriegerischen Akt, der sowohl für die jungen Afghanen als auch für die Japaner traumatische Symbolkraft besitzt. Im März 2001 zerstörten Taliban-Milizen in Tal von Bamiyan die beiden größten Buddha-Statuen der Welt mit drei Tonnen Sprengstoff. Es blieben nur Trümmer in der leeren Felslandschaft zurück.
Der japanische Videokünstler Acci Baba fasst dieses Kriegstrauma in packende Bilder, die den Zerfall spiegeln. In dieser Welt kämpfen junge Menschen um Freiheit und um ihr eigenes, unverschleiertes Gesicht. Das hatten ihre Mütter in der strengen islamischen Kultur nicht: Burkas verhüllten sie. Viele Japaner wiederum bändigten ihre Körper mit einer brutalen Foltertechnik, Bondage genannt. Im 17. Jahrhundert banden sich junge Menschen durch diese martialische, auf die Samurai zurückgehende Fesselkunst aneinander und gingen dann gemeinsam in den Tod, um frei von gesellschaftlichen Zwängen zu sein.
Burka und Bondage sind für die Tänzerinnen Ausgangspunkt einer Reise in die Psyche. Erst tanzen sie leicht und unbeschwert auf und unter einem weißen Fallschirm. Dann fesseln sie einander die Hände, hüllen sich in die Burka ein. Mit explosiver Kraft peitschen sie ihre Körper gleichsam an die Schmerzgrenze. Dann bewegen sie sich wieder entspannt durch den Raum. Fesseln und befreien wechseln einander in der Choreografie ab, deren Dynamik besticht. Mit einer persischen Handtrommel, Tombak genannt, begleitet der Iraner Mohammad Reza Mortazavi diesen Tanz ins eigene Ich.
In dem Prozess wenden die Künstler aber auch Klischees gegen sich selbst. Die Burka, die nicht nur im Westen als Symbol für die Unterdrückung afghanischer Frauen gilt, wird in „Burka Bondage“ auch zum Ort, an dem sich die Tänzerinnen sicher fühlen und an den sie sich zurückziehen können. Überzeugend spiegelt Waldmann so die Dialektik von Repression und Subversion.
Bachelorarbeit Universität Bern | 2010
von Hannah Neumann