In der Einsamkeit der Baumwollfelder
Bernard-Marie Koltès
Deutsch von Simon Werle
DER KUNDE:
Ich habe keine Angst davor, mich zu schlagen, aber ich fürchte die Regeln, die ich nicht kenne.
DER DEALER:
Es gibt keine Regeln; es gibt nur ein Mittel; es gibt nur Waffen.
DER KUNDE:
Versuchen Sie mich zu treffen, es wird Ihnen nicht gelingen, versuchen Sie mich zu verwunden. Es gibt keine Liebe, es gibt keine Liebe: Nein, Sie werden nichts treffen können, was nicht schon getroffen wäre, denn zuerst stirbt ein Mensch, dann sucht er seinen Tod und trifft ihn schließlich zufällig auf dem gefährlichen Weg von einem Licht zu einem anderen Licht, und er sagt: Das war es also schon.
Die Inszenierung von Helena Waldmann benutzt das Boxen als Waffe und orientiert sich an „Über Boxen“ von Joyce Carol Oates, worin sie Boxer mit Doppelgängern vergleicht:
„Am Ende kennt der Boxer, besser als irgendein anderer Mensch es je von sich weiß, seine körperlichen und physischen Kräfte – er weiß, zu was er fähig ist und zu was nicht. Wenn er halbnackt den Ring betritt und sein Leben aufs Spiel setzt, macht er seine Zuschauer zu Voyeuren: Boxen ist unsagbar intim. Es bedeutet, ein Bewusstsein hinter sich zu lassen, dass dem Bereich der Normalität angehört, und in ein anderes einzutreten, das zu benennen schwierig sein dürfte. Es bedeutet, mit der Agonie zu spielen und sie manchmal zu erleben, dessen Wurzel das griechische Wort agon ist: Kampf.
Im Ring gibt es zwei Hauptakteure, die ein dritter, schattenhafter Mitspieler überwacht. Das zeremonielle Ertönen des Gongs versetzt die Boxer wie die Zuschauer in einen Zustand höchster Wachheit. Von da an unterliegt, was sich abspielt, zunächst dem Gesetzt der ablaufenden Zeit.“
1991
Der Dealer
Thomas Anzenhofer
Der Kunde
Christian Ebert
Regie
Helena Waldmann
Bühne
Bettina Weller
Kostüme
Martina Büttner
Dramaturgie
Reinhard Deutsch
Boxtraining
Thomas Wüpper
Regieassistenz
Tanja Haider
Souffleuse
Beate Bagenberg
Inspizienz
Alexander Störzel
Fotos
Arwed Messmer
Spieldauer
95 min
Premiere
7. Juli 1991
Schauspielhaus Bochum im Theater Unten
Presse
Prinz, Sept 1991
von Thomas Gsella
In der Einsamkeit der Baumwollfelder >
Die Bühne zeigt, mit Ausnahme mannshoher Eisengitter, kahlen Beton. Zwei Männer, von eisigem Dämmerlicht beleuchtet, treffen an diesem surrealen, zwischen Hinterhof und Hades changierenden Ort aufeinander und kommen nicht mehr voneinander los. „Der Blick des anderen“, schrieb Sartre, „ist der Tod meiner Möglichkeiten“. Koltès‘ Protagonisten werden sich gegenseitig zum Schatten. Um jene Gewalt zu neutralisieren, die immer droht, „wenn sich die Wege kreuzen“, setzen sie sich gegenseitig die Charaktermasken der Konsumterror-Gesellschaft auf: Der eine redet als Händler, der andere als Kunde. Doch weder sagt der „Händler“ was er anbietet, noch der „Kunde“, was er will. „Seien Sie auf der Hut. Der Kunde will eine Sache, von der der Verkäufer nichts ahnt.“ „Mein Wunsch, wenn es ihn gibt, würde Ihnen das Gesicht verbrennen.“ Am Schluss bezahlen beide dafür, dass sie den Deal nicht zustande kommen ließen: Sie greifen sich an.